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er sein Herz einem Verstehenden gegenüber erleichtert hat, wird er als ein Starker, der er
immer war, wieder Herr der Lage und bekennt: " Doch nun habe ich's unter meine Füße gerungen."
Er suchte die Haltung seiner Leute zu verstehen und sah ein, daß sie an ihm als ihren Pfarrer
irre werden mußten, weil er sich in seinem Buche ganz als Mensch gegeben und das Ideal =
bild zerstört hatte, das sie von einem Seelenhirten in sich trugen. Auch auf der Gegenseite
legten sich allmählich die Wogen der Erregung wieder. Doch blieb selbst bei denen, die
sich bemühten, zu einem ruhigen und sachlichen Urteil zu kommen, die Meinung vorherrschend:
"dos härre net därfe mache"! Noch viele Jahre später, als einmal Kirchenbaurat Hofmann
auf dem Wege nach Erdbach die Einstellung eines Breitscheiders zu Philippi erfahren will,
entgegnet ihm dieser kurz angebunden: " Er hot üwer de Leu geschriwwe, en dos dout
mer net"! Auch ein Gemeinwesen hat seine Empfindlichkeit, die erkannt und beach=
tet sein will, und die
Dorfseele als Ganzes äußert sich wie der Einzelne auf vermeintliche
Zurücksetzung und Bloßstellung. Ist das Dorf bei seiner abgeschiedenen Lage zurückgeblie=
ben in der Entwicklung, was ihm übrigens nicht bewußt ist, warum seine Blößen
ausbreiten vor aller Welt.
Übrigens nahmen die Breitscheider Philippi einesteils zu ernst, andern=
teils nicht ernst genug.
Hätten sie ihn genügend gekannt, und wären sie nicht so "gänz=
lich unliterarisch" gewesen, so hätten sie beim Erscheinen seines Buches gleich eine andere Ein=
stellung ihm gegenüber eingenommen: "Ah, du bist ein Dichter!" Wer aber das Flügelpferd
reitet, dem muß man allerlei durch die Finger sehen. Uns bringst du nicht aus der Ru=
he. Und wenn du gar zu Zeiten die Schellenkappe trägst und uns zu Opfern deines Witzes
und Humors machst, auch gut, wir bleiben darum doch, was wir sind; und was man
draußen über uns denkt, kann uns gleichgültig sein. Was wäre gewonnen gewesen,
wenn man solche Weisheit aufgebracht hätte!
Philippi verschonte sich ja selbst und seine Freun=
de nicht, wenn ihn der Schelm anwandelte.
Er nennt sich einen "Unrast" einen "geist=
lichen Zappelphilipp", "Mathias Hirsekorn" u.s.w.
Seinen besten Freund, Pfarrer Enke in Schönbach, taufte
er auch "Hinkelsgriffer". Und wiederum erkannten seine Leute in wichtigen Dingen nicht
die ernsten Absichten, die er in manchen seiner Erzählungen verfolgte. Als Pfarrer
hatte Philippi das Bedürfnis, durch seine Dichtungen nicht nur in schöngeistiger (veredelnd)
Hinsicht auf seine Leser einzuwirken, sondern vor allem auch in sittlicher. Und er
hat den Menschen wirklich etwas zu sagen und greift ihnen, ohne den Pfarrer in auf=
dringlicher Weise hervorzukehren, bei gegebener Angelegenheit auch herzhaft ans Ge=
wissen. So will er z.B. in der Erzählung, "Der Eierschuster" eindringlich zu Gemüte füh=
ren, daß es einer christl. Gemeinde schlecht ansteht, ihre Armen so unwürdig unterzu=
bringen und zu versorgen. In des Weibes Bestimmung sollen die sozialen Zustände ge=
geißelt werden, die in kinderreicher Familie bei enger Wohnung und knappem Brot
die Mütter frühzeitig zugrunde gehen lassen. Und durch die Erzählungen, die die religiösen
Spaltungen im Dorf zum Gegenstand haben, zieht sich wie ein roter Faden das Bedauern
darüber, daß die Religion, in deren Wesen es doch liegt, die Menschen in brüderlicher Ein =
tracht einander näher zu bringen, zum Zankapfel zwischen ihnen wird.
Ein Pfarrer, der weniger fest in sich gegründet gewesen wäre als Philippi, wäre wohl dar=
auf bedacht gewesen, nach den leidvollen Erfahrungen hier baldigst den Staub von den Füßen zu
schütteln. Nicht so Philippi! Er lief dem Leben nicht aus der Schule, wich den Schwierig=
keiten nicht aus. Er erkannte, daß er die Widerstände, ja Widerwärtigkeiten, selbst verursacht
hatte, und so ließ er das Leid, das sie ihm gebracht hatten, sich zur Lehre dienen.
Fortsetzung Seite 292
aus der alten Handschrift übersetzt durch Hans Henn
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