der Mann bei groß und klein. Es war rührend für mich, zu sehen, wie bei meinem 4 jährigen Neffen Ernst die Augen strahlten, sobald ihm Hindenburg genannt wurde oder er ein Bild von ihm sah. Freudestrahlend verkündete er mir, wenn die Glocken läuteten: "Pat, der Hindenburg hot honnert dausend Russe defange!" - Der Krieg erweckte auch in den sonst so politisch teilnahmslosen Bauersleuten ein großes Interesse fürs Weltgeschehen. Vielen genügten nicht mehr unsere Herborner und Dillenburger Lokalblättchen; sie hielten sich größere Zeitungen, auch kauften sich einige Karten von den Kriegsschauplätzen. Freilich gab es auch wieder andere, die nur wußten, daß Krieg ist (*). Im Dorf und auf dem Felde bildeten sich häufig kleine Gruppen, welche die großen Ereignisse besprachen. Ja, wenn unsere Söhne selbst draußen sind, da hat das, was geschieht, ein ganz anderes Interesse für uns. Die Vorträge über den Krieg auf dem Gemeindehause wurden mit großem Interesse besucht. Einmal sprach Ernst Becker, ein geborener Breitscheider, der im Gefangenenlager in Wahn Dienst tat, über das Lager in Wahn und über England. Die Gemeindestube war gestopft voll, und auch einige Frauen standen auf dem Gange. Große Heiterkeit erregte es, als der Vortragende sein Verschen zum Besten gab:
"Dein schönes Meer, O Engeland, durchziehen wir ohne Ruh,
Es bringt dich noch aus Rand und Band der schlichte Buchstab U.
X Schiffe hast du mehr als wir, du alter Sünder, du,
Doch siehe wir, wir machen dir für jedes X ein U."
Die Truppensendungen auf der Bahn sah sich mancher gerne an. Einmal machte auch die Schule deshalb einen Ausflug nach Herborn. Es war gerade eine Truppenüberführung von Belgien nach dem Osten. Auf einem Wagen stand: "Von Namur nach Petersburg". Die Eindrücke, welche die Schüler bekommen hatten, wurden dann zu einem Aufsatz verwertet, der die Überschrift trug: "Von Namur nach Petersburg."
Die ersten Gefangenen kamen im Jahre 1915 zur Arbeit auf die Tonindustrie. Es waren Franzosen, darunter auch einige Belgier, etwa 20 Mann. Leibhaftige Franzosen einmal zu sehen, das war für unsere Dorfleute ein besonderes Ereignis. In erwartungsvoller Stimmung standen sie an der Straße, vom Erdbacher Weg bis zum Kirchhof. Endlich hieß es (mittags um 2 Uhr etwa): "Etz komme se!" Ich begab mich ans Fenster. An der Spitze marschierte unser Förster Heinrich Thielmann, der sie als Wachmann führte, ein anderer Wachposten ging hinter dem Trupp her. Der Gefangenentrupp bot ein buntes Bild. Sie hatten zum Teil noch die alte bunte Uniform, rote weite Hosen, blauen Kittel und das Käppi. Einer sah zu mir herauf, und wir blickten uns beide lange und ernst an, als ob wir sagen wollten: "Ihr seid Menschen, so gut wie wir. Was kann der Einzelne zu dem großen Unglück?" Sie schritten durch die Menge hindurch, die sich würdig verhielt. Wie ganz anders hat man unsere Soldaten in Frankreich behandelt! "Boche" (Bosch) das heißt "Schmutziger Kerl!" war das allgemeine Schimpfwort drüben, von Tätlichkeiten und Rohheiten, selbst gegen die bedauernswerten Verwundeten, ganz zu schweigen. - Die Zahl der Gefangenen schwankte im Laufe der Kriegsjahre zwischen 20 und 110. Einige Russen waren den Bauern zur Hilfe zugeteilt. Einer von ihnen ließ sich in einer Nacht im Herbst 1916 am Seil aus dem Fenster seines Schlafstübchens herab und entfloh; er wurde eingefangen oder hatte sich selbst wieder gestellt, aber die Familie (Franze Friedrich) wollte ihn nicht mehr.
*) Unser älteres Geschlechte, in der Geographie schwach, konnte nicht ins Bild kommen mit den vielen Ländern und Städtenamen, die genannt wurden: obs Freund oder Feind betraf? Als der Gendarm unseren Bürgermeister die traurige Nachricht vom Falle Tsingtaus, der Hafenstadt unseres Pachtgebiets in Ostasien, überbrachte, war es für diesen kein Zweifel, daß die deutschen wieder einen Sieg errungen hatten, und so sagte er: "Als werrer `n Schritt weirer!"
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von Kornelia Pelz übersetzt
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