1933
1. Oktober Pfarrer Bars versetzt! Am Freitag, dem 21. September, kam Pfarrer Bars von der Konfirmandenstunde zu mir herauf, um mir mitzuteilen, daß er heute die Nachricht von seiner Berufung an die Lutherkirche in Wiesbaden erhalten habe; Er habe sich nicht an die Stelle gemeldet gehabt, der dortige Kirchenvorstand habe ihn vor einiger Zeit zu einer Probepredigt (in Wiesbaden-Rambach) gebeten und daraufhin sei nun unerwartet seine Berufung erfolgt. Ich wünschte ihm Glück zu seiner neuen Stelle, bedauerte aber seinen Weggang von hier und fügte hinzu: "Mit ihrem Nachfolger müssen wir Geduld haben!"
- Damit hatte ich die hervorragende Bedeutung Pfarrer Bars' für unsere Gemeinde gekennzeichnet. Als sich die Nachricht der Versetzung des Pfarrers verbreitete, ging ein allgemeines Bedauern durch unser Dorf. "Su'n Pärrner kreje mr net werrer!" war der vorherrschende Gedanke. Ich dachte noch: Nun, er bleibt ja seinem Berufe erhalten (ja, er war wirklich ein Berufener!), und in der Großstadt, wo heute größere Not herrscht als auf dem Lande, ist er vielleicht nötiger als bei uns. Die Wiesbadener Gemeinde kann sich freuen! Besonders die Armen und die Kranken, auch die Alten und die Jungen, ja, wen soll man eigentlich ausnehmen - alle können auf Pfarrer Bars rechnen, wenn er ihnen dienen kann. Hoch würde das Lied klingen, das man über seine hiesige Tätigkeit im einzelnen anstellen könnte, über sein aufrichtiges freundliches Wesen, das den Ärmsten und den Hochstehenden gleich achtete, über seine pflichteifrige, fürsorgende und warmherzige Art, die aber auch, wenn es am Platze war, der nötigen Festigkeit nicht entbehrte. Was er lehrte, lebte er auch vor, und wir alle sind ein wenig besser geworden durch das Vorbild dieses feinen Mannes. Er war ein "rechter Mensch, und so sollte man auch sein". Er wird in Breitscheid nicht vergessen werden, wie auch in Medenbach und Rabenscheid nicht. Nun noch kurz einiges über seinen Abschied von hier. Da die Zeit bis zum 1. Oktober zu kurz bemessen war, zur ordnungsmäßigen Regelung seiner Angelegenheiten hier, so wurde seine Einführung in Wiesbaden auf den 15. Oktober verlegt. So hielt Pfarrer Bars, nachdem er noch am 1. Oktober das erste große Erntedankfest im neuen Reiche hier gehalten hatte, am 8. Oktober seine Abschiedspredigt. Abends fand noch eine Abschiedsfeier im vollbesetzten Saale des Vereinshauses statt. Es wurde dem scheidenden Pfarrer ein Bild geschenkt: "Jesus lehrt aus dem Schiffe," und noch ein kleineres, nämlich die Photographie Breitscheids vom "Grünen Wieschen" aus, wie sie (kleiner) auch das Titelblatt dieser Chronik enthält. Beim Ausgang sah ich Frau Pfarrer Bars im Lichtkegel des Vorbäuchens stehen, wie sie jedem Besucher der Versammlung noch die Hand gab. Beide Pfarrersleute hatten in der letzten Woche durch Hausbesuche schon von jeder einzelnen Familie im Dorf Abschied genommen. Frau Pfarrer Bars ist in ihrer hingebenden Tätigkeit in der Gemeinde eine rechte Gehilfin ihres Mannes gewesen.
Am 6. November starb Heinrich Müller (Haus Nr. 58), der Älteste der Freien Gemeinde. Das große Leichenbegängnis zeugte von der allgemeinen hohen Wertschätzung dieses Mannes. Heinrich Müller hat sich auch um den Obstbau verdient gemacht. Man mag zu seinem Glauben stehen, wie man will, seine Treue und Hingabe an seiner Sache verdient alle Achtung. Seit Gründung des Vereinshauses, also 25 Jahre lang, sah man ihn Sonntag für Sonntag meist 4 mal dorthin gehen: zur Morgenandacht, zum Kindergottesdienst um 1 Uhr, und nachmittags um 3 Uhr und oft abends noch einmal zur Versammlung. Er konnte schweigen und beten, und darum war er auch der Vertrauensmann für seine Glaubensgenossen. Der charaktervolle Mann wurde auch durch das Vertrauen der Dorfleute immer wieder in die Gemeindevertretung gewählt und zum Beigeordneten. So hat unser Dorf in diesem Herbst in Pfarrer Bars und Heinrich Müller einen großen Verlust erlitten.
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von Kornelia Pelz übersetzt
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